Wer sich minimaler geistesgeschichtlicher Bildung erfreut hat und einen Blick über den Teich wirft, traut seinen Augen kaum. Als potentielle Präsidentschaftskandidaten der Weltmacht kristallisieren sich heraus, ein Donald Trump, der es bereits vollbracht hat, sich in eine permanente Karikatur seiner selbst zu verwandeln und eine in etliche Skandale verwickelte Hillary Clinton, die jede denkbare Tugend der Genügsamkeit und des Anstandes mit Füssen tritt, dabei das Zepter ihrer zugegebenermassen beeindruckenden Karriere unerbittlich festhält. Unweigerlich drängt sich einmal mehr und diesmal umso vehementer die Frage auf: Ist das der Glanz der Vereinigten Staates? Aufgrund dieser unsäglichen Umstände ist man nahezu gezwungen, den Mythos der Gründerväter heraufzubeschwören, in welchen ein derartiges politisches Amt, zumindest rein theoretisch, noch mit der Erwartung einer gewissen moralischen Integrität verbunden wurde.
Im Fall von Trump scheint man Derbheit, Grobheit und Arroganz für bewunderungswürdige Merkmale zu halten. Trump erscheint wie eine bis zur Unkenntlichkeit der Person aufgebrezelte Karikatur des polternden, lauten, selbstüberzeugten, aber essenzlosen weissen Cowboys, der mit ausgedroschenem Mundwerk den wilden Westen dominiert.
Der Skandal der ganzen Affäre ist nun nicht einmal Trump selbst. Hätte man ein KMU, welches Staubsauger an den Mann oder die Frau bringen müsste, würde man ihn klugerweise unverzüglich anstellen und damit den Gewinn markant steigern (zumindest in den USA). Der unfassbare Sachverhalt besteht nun darin, dass dieser Mann von der breiten Masse in den Stand versetzt wird, tatsächlich Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Während die Intellektuellen zu Beginn über das zufällige Auftauchen des Tycoons in den Reihen der Kandidaten noch überlegen geschmunzelt hatten, ist ihnen das Lachen nun vergangen.
Es soll hier gar nicht so sehr um Trump gehen. Er mag sogar einige Stärken haben, die man in Washington heutzutage vermisst. Was jedoch erstaunlich anmutet, ist der Grad der kulturellen Degeneration, welche es einem Mann, der sich so präsentiert, erlaubt, an den Zenit der Macht zu gelangen.
Ein Student aus Boston, Evan Puschak, hat sich der Aufgabe gewidmet, herauszufinden, wie Donald Trump eine Frage beantwortet. Um seine Ergebnisse darzulegen, hat er ein Videoessay verfasst, welches auf youtube angesehen werden kann (Titel: How Donald Trump answers a question). Das Resultat ist beachtlich, allerdings nicht gross verwunderlich, da man, wenn man Trump zuhört, bereits nach ein paar Sätzen merkt, worin seine grosse Stärke besteht: Mit zu Null tendierendem Inhalt maximale Wirkung erzielen. In dieser Hinsicht ist er ein überlegener Meister der Rhetorik. Wer in einer einfachen Welt, mit geordneten Polaritäten und Stereotypen lebt, kann Trump nur verehren.
Wenn breite Massen gedanklich nicht mehr zur Essenz, zum Wesen, zum Inhalt einer Sache vordringen können, dann ist der Manipulation oder dem politischen Totalitarismus Tür und Tor geöffnet. In diesem Sinne sind wir an einem ähnlichen Punkt wie zu Beginn des zweiten Weltkriegs. Der Mythos des Starken Mannes wird heraufbeschworen. Selbstverständlich kann diese Beschwörung nur scheitern.
Wir befinden uns heute in einer Zeit, in welcher die bereits erwähnten breiten Massen ein Dasein führen, das vorwiegend medial konditioniert wurde. Durch die Vereinheitlichung der medialen Strukturen hat sich dieser Prozess verschärft. Viele Zeitgenossen erscheinen auch bei uns, als fast restlos konditionierte, menschliche Hülsen, deren Denkkraft bis zum Rahmen ihrer vulgär-medialen Konditionierung reicht. In diesem Zusammenhang stösst man auf die herausragende Monographie «Der Mythus des Staates» von Ernst Cassirer, geschrieben 1949. Darin findet sich eine an Präzision nicht mehr zu übertreffende Beschreibung Trumps und seiner Wähler:
Zu Trumps Rhetorik:
«In primitiven Gesellschaften hat das magische Wort einen vorwiegenden und überwältigenden Einfluss. Es benennt nicht Beziehungen zwischen Dingen; es versucht, Wirkungen hervorzubringen und den Lauf der Natur zu ändern (…) all dies kehrt in unserer modernen Welt wieder. (…) Das magische Wort gewinnt die Oberhand über das semantische Wort. (…) Dieser Bedeutungswandel folgt aus der Tatsache, dass jene Worte, die früher in beschreibendem, logischem oder semantischem Sinne gebraucht wurden, jetzt als magische Worte gebraucht werden, die bestimmt sind, gewisse Wirkungen hervorzubringen und gewisse Affekte aufzurühren. Unserer gewöhnlichen Worte sind mit Bedeutungen geladen, diese neuen Worte aber sind mit Gefühlen und heftigen Leidenschaften geladen.
Betreffend Trumps Wählerschaft:
«Sie haben aufgehört, freie und persönlich handelnde Menschen zu sein. Indem sie diesselben vorgeschriebenen Riten vollziehen, beginnen sie, auf die gleiche Weise zu fühlen, zu denken und zu sprechen. Ihre Gesten sind lebhaft und heftig; aber dies ist bloss ein künstliches, ein Scheinleben. Tatsächlich werden sie durch eine äussere Kraft in Bewegung gesetzt. Sie handeln wie Marionetten in einem Puppenspiel – und sie wissen nicht einmal, dass die Fäden dieses Spiels und des ganzen individuellen und sozialen Lebens des Menschen von nun an von den politischen Führern gezogen werden.
Wir können uns leider nicht darauf vertrösten, dass solcherlei bei uns nicht vorkommt, denn unsere Gesellschaft gerät in ein ähnliches Fahrwasser und es scheint eine Frage der Zeit zu sein bis die Massen reif sind für eine neue Form des Totalitarismus. Ein prominentes Werkzeug dazu ist die medial heraufgezüchtete, mutierte Ideologie einer political correctness, die ähnlich wie die Inquisition ihre neuen Häretiker brandmarkt. Die Entwicklungen, die wir in den USA noch aus der Ferne beobachten, stehen uns auch bevor, da die Massen nicht unbedingt an Urteilsvermögen zunehmen und eine drastische Müdigkeit festzustellen ist, Inhalte wahrzunehmen, ohne dass diese brachial aufgedonnert, dargeboten werden. Die Form dominiert nicht nur über den Inhalt, sondern droht diesen gar vollständig zu verdrängen. Ob dies als ästhetische Überreizung und anschliessende Verblödung zu klassifizieren ist, lassen wir nun einmal dahingestellt.
GOD bless America!
An Tagen wie diesen bin ich geneigt zu bitten, Have mercy with America! Wie haben manche von uns dieses Land einst bewundert: Als Hort von Freiheit, Befreiung von Faschismus (WW II), Bill of Rights (die lange nicht für Farbige oder native Indians galten), demokratische Regeln (check-and-balance etc.). Unter Figuren wie Trump sind die Republikaner jedoch spätestens zur Anti-Aufklärungspartei verkümmert, einstige Werte degenerieren zu offenen Ressentiments und werden wieder mehrheitsfähig … Dramen wie soeben in Dallas zeigen immer wieder, dass bürgerliche Freiheiten zum Faustrecht der Stärkeren (oder besser Bewaffneten) verkommen und die mächtige Waffenlobby eine Art “Grundrecht für Amokläufer” fördert. Wo steuert “God’s blessed America” hin? Hab’ Erbarmen!