Ich sitze mit meinem Sohn in der Hängematte. Drei Monate alt ist er. Während ich seinen noch unausgereiften Rücken stabilisiere, sitzt er mir entgegen auf meinem Schoss. Er blickt in meine Augen und ich in die seinen. Was für ein Mensch wurde mir hier anvertraut? Wer ist er eigentlich und wer wird er sein? Werde ich ihn kennen und er mich? Oder wird die allzu bekannte Unzulänglichkeit zwischen so vielen Vätern und ihren Söhnen triumphieren?
Da sind viele Söhne auf der Suche nach ihrer Identität, nach dem Ursprung ihres eigenen Seins, ihrer Persönlichkeitskonstitution. Sie suchen ihren Vater und finden ihn nicht, obwohl er körperlich präsent ist. Da stehen zahllose Väter vor der Herausforderung, den Bezug zu ihren Kindern nicht zu verlieren. Gedankenverloren murmle ich: „Hilf, dass es mir gelingt Gott, meine Kinder zu kennen.“
Der Blick meines Sohnes ist nun kritisch und abwartend. Nun kommen mir meine Freunde und meine restlichen Angehörigen in den Sinn. Menschen, die ich teilweise bereits seit zwei Jahrzehnten kenne. Es drängt sich die Frage auf: Kenne ich sie wirklich? Weiss ich, wer sie im Tiefsten sind? Natürlich, ich kann sie beschreiben, kann ein Profil mit ihren Stärken und Schwächen erstellen, kann über ihre Temperamente oder Neurosen nachdenken, aber eigentlich weiss ich nicht, wer sie wirklich sind. Da fällt mir Dostojewskij ein: „Einen Menschen zu lieben, heisst ihn so zu sehen, wie Gott ihn gemeint hat.“
Nun dämmert es mir. Die Kraft der Liebe erhellt das Geheimnis der Identität meines Nächsten. Das Geheimnis der Identität meiner Eltern, meiner Frau und meiner Kinder. Die Liebe rückt den anderen ins Licht Gottes. In diesem Licht der Liebe kann ich den anderen tiefer kennenlernen, weil hier der Schöpfer hinzutritt, der den Schlüssel hat zum Wesen meines Nächsten. Ich bin also beauftragt zu lieben. Nun lache ich meinen Sohn an während die Vogel zwischen den Reben fröhlich umher zwitschern. Mein Sohn lacht zurück und sein Gesicht wird hell. Nun scheine ich ihn zu kennen und er mich.
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